Oberstufe

Der Wechsel vom Klassenlehrer zum Fachlehrerkollegium

Oberstufe

Bis zum Ende der 8. Klasse wird das Geschehen im Unterricht sehr stark von einer einzigen Persönlichkeit geprägt, die die Schüler von Beginn ihrer Schulzeit an begleitet hat, vom Klassenlehrer. Nun, mit dem Eintritt in die Oberstufe, die an der Waldorfschule mit der 9. Klasse beginnt, findet ein deutlicher Wandel statt. Viele Fachlehrer, jeder einzelne von ihnen ein Spezialist in seinem Fachgebiet, erteilen jetzt den Unterricht. Für die Schüler bedeutet dies, sich auf mehrere Persönlichkeiten mit ihren unterschiedlichen Naturellen einzustellen – die dominierende Bezugsperson Klassenlehrer gibt es nicht mehr. Zwar begleitetet auch weiterhin einer der Fachkollegen die Klasse als Betreuer bis zum Abschluss der Schullaufbahn, doch der Wechsel vom geliebten „universalgelehrten“ Klassenlehrer, der sich die spezifischen Inhalte aller Fächer mühevoll angeeignet hat, hin zu den verschiedenen Fachlehrern bedeutet dennoch einen wichtigen Schritt in Richtung Erwachsenwerden: Jetzt beginnt die Oberstufe! Dieser Perspektivenwechsel prägt ab der 9. Klasse auch die Unterrichtsinhalte.

Die Epochen der Oberstufe im Überblick

9. Klasse

In der 9. Klasse wird in einer Art Rückblick nochmals auf den Stoff der 8. Klasse Bezug genommen – nun aber durchaus auf einem anderen Niveau, eben oberstufengerecht. In der Kunstgeschichtsepoche wird ein großer, weiter Überblick über die Kunstentwicklung von der Vorzeit bis zur Moderne gegeben. Im Mittelpunkt der Deutschepochen stehen das Leben und biografisch geprägte Werke der Klassiker Goethe und Schiller, begleitet von der vergleichenden Lektüre zeitgenössischer Autoren. Humanistische Ideale werden nicht nur im Geschichtsunterricht betrachtet, sondern auch in der Physikepoche. James Watts Dampfmaschinen stehen dann bspw. im Zusammenhang mit der Kinderarbeit im England der industriellen Revolution. In der Chemieepoche steht die organische Chemie auf dem Lehrplan – die Ernährungslehre der 7. Klasse wird hier noch einmal wissenschaftlich durchdrungen. In den beiden Mathematikepochen der 9. Klasse werden zunächst die Kegelschnittkurven, auch in Verbindung mit der darstellenden Geometrie, behandelt; in der zweiten Epoche stehen Zahlensysteme, Kombinatorik und lineare wie auch quadratische Gleichungen auf dem Programm. Aber auch im Biologieunterricht findet sich der Perspektivenwechsel; die Sinnesorgane des Menschen sind Unterrichtsinhalt: Welche seelischen Erfahrungen vermitteln mir diese?

10. Klasse

In der 10. Klasse rückt das Wenn-Dann-Denken immer stärker in den gedanklichen Vordergrund der Schüler. Kausalketten denkerisch zu erfassen wird fast zur Leidenschaft. In der Physik wird daher die klassische Mechanik mit ihrer klar erfassbaren, mathematischen Berechenbarkeit zum Hauptunterrichtsinhalt. Vulkanismus, Plattentektonik, Luft- und Meeresströmungssysteme der Erde werden während der Geographieepoche behandelt. Die Chemieepoche beschäftigt sich mit den Arten der Salzbildung, Säuren und Laugen werden in ihrer meist heftigen Reaktion vorgeführt. Manchmal durchaus schreckliche Folgen vorangegangener Taten und Haltungen stehen auch im Mittelpunkt des Deutschunterrichtes: Das Nibelungenepos mit all seinen Wirren wird hier behandelt, fremde Leidenschaften entfalten eine erstaunliche Nähe. Unausweichlichkeit aber auch im Mathematikunterricht: neben den Potenz- und Wurzelgesetzen werden die Logarithmen und Exponentialfunktionen behandelt, die zweite Mathematikepoche widmet sich der Trigonometrie – eine ideale Vorbereitung für das Vermessungspraktikum, bei dem die Schüler das theoretische Wissen in die Praxis umsetzen können.

11. Klasse

Die 11. Klasse steht ganz im Zeichen der Parzival-Epoche. So wie der „reine Tor“ in Wolfram von Eschenbachs Dichtung seinen Weg zwischen den Welten finden muss, stellt sich für die Schüler der 11. Klasse die Frage nach ihrer Zukunft. Dieses Motiv des Suchens, Durchwanderns und Gegenüberstellens durchdringt auch die einzelnen Unterrichtsfächer. Der Deutschepoche an die Seite gestellt ist die Geschichtsepoche, bei der ein intensiver Blick auf das Mittelalter geworfen wird, aber auch der vergleichende Blick auf die Neuzeit nicht fehlen darf. In der Chemieepoche werden die Metalle vielfältigen Wegen durch ihre verschiedenen Verbindungen unterworfen, am Ende erscheinen sie wieder als reines Metall! In der Physik werden die faszinierenden Phänomene der Elektrizität beleuchtet, wobei Fragen über die Natur von elektromagnetischen Feldern oder das Problem der Unsterblichkeit des elektrischen Stromes die Schüler zu philosophischen Betrachtungen bringen. Komplexe Fragen birgt die Biologieepoche, die sich mit der Zelllehre und letztendlich mit der Frage nach dem Leben an sich beschäftigt. Das Motiv des Woher und Wohin durchzieht dann auch die Mathematikepochen, Funktionen werden graphisch dargestellt und analysiert, die Projektive Geometrie führt die Schüler in ihrem Denken schließlich sogar bis zum unendlich fernen Punkt.

12. Klasse

Die 12. Klasse stellt den Abschluss und Kulminationspunkt der Unterrichtsinhalte der gesamten Oberstufenzeit dar. Im Mittelpunkt stehen das Einstudieren des Klassenspieles und das Anfertigen der Jahresarbeit. Eine weitere wichtige künstlerische Leistung wird durch das Aufführen eines selbst erarbeiteten Eurythmiestückes abgelegt.