Geschichte

Schulgründung nach der Wende

Die geistige Grundlage der Waldorfpädagogik in Jena liegt im Zweig der Anthroposophischen Gesellschaft und der Christengemeinschaft, die beide in den 1920er Jahren gegründet wurden. Nach dem Verbot der Christengemeinschaft 1941 wurde sie nach 1945 bald neu aufgebaut, 1980 wurde die Markuskirche als erste freistehende Kirche der Christengemeinschaft in der DDR geweiht. Im Religionsunterricht und in Ferienfreizeiten arbeitete man mit den Kindern und Jugendlichen nach waldorfpädagogischen Ansätzen. So gab es nach der „Wende“ genügend Menschen, denen die Waldorfpädagogik vertraut war und die sie für ihre Kinder verwirklichen wollten.

Außerdem suchten damals viele Menschen nach einer neuen Pädagogik. Man wollte ‚freie’ Schulen und auf einer der Diskussionsveranstaltungen wurde auch die Waldorfpädagogik vorgestellt. So bildete sich Anfang 1990 aus beiden Strömungen eine Initiative und die Freie Waldorfschule wurde 1991 in der alten Dorfschule Göschwitz mit einer 1. Klasse eröffnet.

Die Waldorfschule Ulm unterstützte von Anbeginn tatkräftig die Initiative in Jena. Das 2. Jahr begann gleich mit vier Klassen (1; 2; 3/4 und 5), und Eberhard Balle kam als Gründungslehrer aus Ulm nach Jena und übernahm die 5. Klasse.

1996 führte er mit seiner nunmehr 8. Klasse das Stück „Das Leben ein Traum“ von Pedro Calderon im Saal des neu entstandenen Pavillons auf. Damit war die achtjährige Klassenlehrerzeit zu Ende und Schüler und Schule bereit für die Oberstufe.

Mit dem Wachsen der Schule waren auch wichtige Bauprojekte verbunden. Auf dem Innenhof wurden Baracken oder Pavillons zusammen mit einem Saal erbaut. Bald wurde die Unterstufe zusammen mit dem neu entstandenen Kindergarten als Gast in frei gewordenen Schulräumen in Winzerla untergebracht.

Die Oberstufe kommt dazu

Mit dem Abschluss der 8. Klasse musste auch ein Konzept für die Oberstufe entwickelt werden. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite entstand der Südbau mit Kunstateliers und weiteren Klassenräumen. Damit war aber nur die Raumfrage gelöst.

Viel schwieriger war es zu entscheiden, ob der Schwerpunkt auf der praktischen Ausbildung, vielleicht sogar einer Berufsausbildung liegen oder man auf eine mögliche Abiturprüfung hinarbeiten sollte. Dafür fehlten allerdings noch die entsprechenden Lehrer. So wurde zunächst ein Schwerpunkt auf den künstlerisch-praktischen Unterricht gelegt: Weben, Plastizieren, Malen konnten in den neuen Werkstätten des Südbaus ausgeführt werden. Andere praktische Fächer kamen allerdings dazu, wie Schneidern, Drucken, Korbflechten, Kochen, Tischlern und Gartenbau. Daneben wurde ein weitreichendes Konzept für sechs Praktika entwickelt.

Im Jahr 1997 gab es die erste große Schwierigkeit. Schweren Herzens entschied man sich dazu, die 10. Klasse aufzulösen, aus der viele Schüler abgegangen waren und man den anderen keine wirkliche Perspektive anbieten konnte. Die ersten Zwölftklässler, die Abitur machen wollten, wechselten notgedrungen zur Waldorfschule in Weimar. Sie erlebten diesen Wechsel auch als eine Erweiterung ihres Horizontes. Die Waldorfschule Jena erweiterte ihre Möglichkeiten soweit, dass seit 2003/04 die Schüler in Jena an der Waldorfschule das Abitur ablegen können.

Die Unterstufenschüler waren inzwischen nach Göschwitz zurückgekehrt, als im Jahre 2002 ein neuer moderner Anbau mit der alten Dorfschule verbunden wurde. Unter-, Mittel- und Oberstufe hatten nun ihre eigenen Räumlichkeiten und mit dem runden Innenhof, dem Hortgelände und dem Schulgarten auch ihr prägendes Außengelände.

Schulstruktur-Geschichte- Konflikte, Herausforderungen und nun bald 30 Jahre FWS Jena

2006 unterstützte die Schule die Gründung der Waldorfschule Gera durch die Aufnahme in den Verein.

Dies war nicht unwidersprochen und verstärkte vorhandene Spannungen. Das Größerwerden der Schule, die Ausweitung der Aufgaben und Arbeitsfelder bewirkten, dass nicht mehr alle Prozesse für alle überschaubar waren. Verantwortlichkeiten wurden genauer zugeordnet, Delegationen eingerichtet, und damit entstanden für jeden im Verein auch Bereiche, in die er keinen genauen Einblick hatte. Diese Veränderungen führten zu Konflikten, die bewältigt werden konnten.

2012 wurde eine neue zeitgemäße Vereinssatzung erarbeitet und die Vereinsstruktur umgebaut. Die Schule ging daraus in vielen Bereichen erfahrener und gestärkt hervor.

Gleichzeitig hatte sich der neue lichtdurchflutete Speisesaal an der Alten Hauptstraße zum beliebtesten Aufenthaltsraum der Schule und zu einem Pflanzenparadies entwickelt.

2015 kam unvermittelt die große Welt in unser kleines Göschwitz. Von einem Tag auf den anderen wurde „unsere“ Turnhalle im Berufsschulzentrum als Notunterkunft für Flüchtlinge requiriert und wir mussten Behelfsunterkünfte für den Sportunterricht finden. Als Bereicherung besuchten einige der Geflüchteten unser spontan eröffnetes Flüchtlingscafé oder kamen, um nachmittags die ersten Anfänge der deutschen Sprache zu erlernen. Im darauffolgenden Sommer 2016 nahmen wir sieben Jugendliche aus Afghanistan bzw. Syrien auf, die unsere Schule inzwischen durchlaufen haben.

Inzwischen müssen Teile der in die Jahre gekommenen Bausubstanz erhalten bzw. erneuert und den neuen Anforderungen des barrierefreien Zugangs angepasst werden. Der Wunsch nach einer Turnhalle und einem größeren Saal, der die ganze Schulgemeinde fasst, bewegt weiter Schulgemeinschaft und Göschwitzer, die dem eher kritisch gegenüberstehen. Da stellt sich die Frage, ob die Erneuerung der Pavillons in ein zweistöckiges Gebäude nicht vorzuziehen ist und damit die Erweiterung der Küche möglich wird, die uns das eigene Zubereiten der Mittagsmahlzeit ermöglichen kann.

Das sind die derzeitigen vielschichtigen Überlegungen.

Doch zurzeit müssen wir als Schulgemeinschaft gemeinsam die Herausforderungen meistern, welche die Coronakrise gerade den Schulen stellt.

Die Jenaer Waldorfschule ist über mehr als ein Vierteljahrhundert durch die vielen Lehrer, Mitarbeiter, die zahlreichen Schüler, ihre Eltern, die vielen Helfer und Unterstützer zu einer voll ausgebauten Waldorfschule geworden, die sich wie bei der Gründung den jeweiligen Anforderungen der Zeit stellt und dabei ihren eigenen Ansatz der Waldorfpädagogik lebt. Allen, die daran mitgewirkt haben und dies weiterhin tun, sei ein herzlicher Dank ausgesprochen.